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Hauptsache: Gans gut – Teil 3 und Schluss

Die PRAGER STUBEN in Baden-Baden. Daheim in der Fremde.

20161229_151934Ganz real aber ist das tschechische Bier.

Ausgeschenkt wird ‚Pilsner Urquell‘ und ‚Budweiser‘ vom Fass. Die Preise? So wie die Mastgans. Gesalzen. Mit € 5,90 für einen halben Liter liegt der Preis nur noch knapp unterhalb des Preises für Druckerflüssigkeit, was aber die Mehrzahl der Gäste nicht kümmern wird. Wer gewohnt ist, seine Scheine gerollt aus der Tasche zu ziehen, denkt in anderen Dimensionen. Die Preisgestaltung ist jedenfalls der aktuellen Situation angepasst.

Doch anderes scheint irgendwie von gestern. Zum Beispiel ein Ober namens Gerhard, den hier aber jeder französisch ausspricht und der, wie die Mastgans, zum Inventar gehört. Er war schon immer da. Spindeldürr und lang, mit schwarzem Anzug und weißem Hemd, dazu die Tränensäcke, verkörpert er eine Figur aus der Zeit, als der Vorhang noch eisern und in Prag noch der Geruch von Kohleöfen in der Luft hing. Lange graue Haare, ein hängender Schnauzer, dazu ein Bowler, der ihm vor mehreren Jahren ein Gast geschenkt hatte. Dies alles lässt ihn wie eine Figur erscheinen, die in den frühen Filmen von Werner Herzog eine adäquate Besetzung gewesen wären. Seine Frau, soviel war zu erfahren, ist seit mehreren Jahren tot, und was ihn auch lange nach Renteneintritt noch in den ‚Prager Stuben‘ hält, ist vielleicht – wie es der immer reisende Bruce Chatwin formuliert hat – ‚Horreur du domicile‘, die Angst vor dem eigenen Heim. „Daheim, was soll ich da?“, sagt er und bringt das Bier.

Jeden Abend so gegen halb zehn betritt er mit Plastiktasche und Tupperware eine kleine Kneipe, nicht weit von seinem Arbeitsplatz. Dort wartet bereits die Wirtin auf ihn. Er wird später wiederkommen, viel später, wenn er die Kasse gemacht hat, um sich dann nach Mitternacht sein vorgekochtes Abendessen zu holen, und nie würde die Wirtin schließen, ohne dass Gerhard, den auch sie französisch ausspricht, da war, um nach einem langen Arbeitstag daheim noch etwas Warmes zu sich zu nehmen. Noch aber ist es nicht so weit.

Die vier Gänse auf dem runden Tisch nahe dem Eingang sind nur noch Gerippe. Lediglich die fünfte Portion scheint merkwürdig unangetastet. Den massigen Herr mit seinem rund-roten Gesicht, Krawatte auf Halbmast und offenem Kragenknopf, kümmert das nicht. Die vor ihm stehende lang schon erkaltete Gans hat er kaum angefasst. Nur die Zigarette hat er an ihrer röschen Haut ausgedrückt. Auf die Frage des Personals, ob abgetragen werden soll, reagiert er unwirsch. Ob man nicht sehe, dass er mit seinem Essen noch nicht fertig sei? Dann schiebt er seine Gabel in die mittlerweile kalte Gans, sehr darauf bedacht, beim Verzehr des Fleisches die Stelle, an der er seine Zigarette ausgedrückt hatte, auszusparen.

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