Gerade in diesen so überaus harten Zeiten, sollten wir uns hier kurz und wehmütig an die Leib- und Magenspeise erinnern, die uns stets, in guten wie in schlechten Zeiten unseren Bierdurst erst so richtig abrundet. Es ist der Wurstsalat.
Natürlich braucht es dazu keine Wirtschaft. Wir können den Wurstsalat auch daheim essen. Schließlich gibt’s Ringe aus Fleischwurst überall. Auch wird es in der heimischen Küche an Öl, Zwiebeln und auch an Essig nicht fehlen. Aber gerade im Verzicht auf den Wurstsalat daheim liegt ein Stück weit das große Glück dieses besonderen Genusses. Dem sollte man sich am besten im Freien hingeben.
Wenn wir ihn da essen wollen, wo er hingehört, fällt uns voller Sehnsucht natürlich gleich mal der Biergarten ein. Die Sonne scheint, der Kies knirscht. Ab und zu lässt der Baum, in dessen Schatten wir trinken, ein Blatt leise zu Boden fallen. Wir haben unsere Zeitung dabei. Das Oldtimer Cabrio steht mit offenem Verdeck vor der Wirtschaft. Dort, wo von Zeit zu Zeit unser Blick hin wandert. Die Bedienung, die uns kennt, ruft schon von Ferne: wie immer? Aber sicher! Und dann kommt’s. Erst kommt das Bier, und dann haben wir auch noch den Salat. Den Wurstsalat. Sieht fast nach einem Wunder aus, wie er da so vor uns steht.
Doch auch ein Wunder will angerichtet sein. Denn was sich so einfach anhört, ist so einfach nicht. Ein Wurstsalat ist – auch wenn man es ihm nicht ansieht – ein komplexes Gebilde. Es gibt ihn zunächst ganz einfach als Wurstsalat. Dann aber geht’s schon los. Es gibt ihn in der Variante ‚Straßburger‘ Wurstsalat, also mit Schweizer Käse. Oder aber auch als ‚Elsässer‘ Wurstsalat, was aber das Gleiche ist. Manche Bedienungen fragen nach. Sagt man ‚Straßburger’, sagen sie ‚Elsässer‘? Sagt man ‚Elsässer‘ fragen sie ‚Straßburger‘? Scheint, als wartet auf den Genießer eine ganze Palette von geschmacklichen Möglichkeiten.
Im Schwäbische gibt’s z.B. noch den ‚Schwäbischen Wurstsalat“ (richtig erraten!), der sich vom Badischen (oder Elsässer) darin unterscheidet, dass er mit Schwarzwurst zubereitet wird.
Die Fleischwurst sollte dünn geschnitten sein, nicht zu viel Öl und schon gar nicht zu viel Essig. Grundsätzlich sollte er gut durchgezogen sein, aber anderseits auch wieder nicht zu lange. Nicht, dass da was Lätschiges vor uns im Teller liegt. Manche raspeln den Käse flockenartig über die Wurst. Auch gut. Vor allem hat man das nicht alle Tage. So gesehen ist ein Wurstsalat ein bisschen wie ein Überraschungsei. Man weiß nie, was man kriegt.
Das kann einem in Bayern nicht passieren. Der Wurstsalat, den sie uns da auftragen, ist in der Regel ein merkwürdiges Ding – man kann es nicht anders sagen. Da schwimmen doch tatsächlich Fleischwursträdchen in einer Mischung aus Wasser und Essig, soviel Flüssigkeit, dass die Wurst da drin kaum Luftholen kann. Hat man viel Glück, hat das Personal die Hälfte der Soße beim Anmarsch schon verschüttet. Sonst besorgen sie es beim Abstellen des Tellers. Den verbleibenden Rest kann man mit der meist extra in Rechnung gestellten ‚Semmel‘ kaum auftunken. Was bleibt, ist oft genug eine vollgekleckerte Hose, immer noch Hunger und ein Zwiebelgeschmack im Mund, der uns beim nächstes Mal einen (meist exzellenten!) Schweinebraten bestellen lässt.
Ansonsten hätte auch hier gegolten: weniger Zwiebeln sind mehr. Wie zu viel Knoblauch ein Essen komplett verhunzen kann, so kann einem das auch mit dem ‚Überzwiebeln‘ passieren. Klein-geschnitten sollten sie sein, die Zwiebelchen. Eine zarte Beimischung. Sind es zu viele, drängen sie sich geschmacklich in den Vordergrund, wo sie nicht hingehören. Wenn’s halt trotzdem mal passiert, muss ein Schnaps her.
Ist man soweit gekommen, braucht es jetzt eigentlich nur noch meine Lieblingsbeigabe. Aufgeblasene Schreiberlinge würden das eine ‚kongeniale Ergänzung‘ nennen. Wir aber nennen es Bratkartoffeln. Manche sagen Brägele, was in Ordnung geht. Hauptsache, man weiß, was gemeint ist. Das Dümmste allerdings ist, wenn man uns sogenannte ‚Bratkartöffele‘ andrehen will. Da krieg ich die Krise.
Ansonsten habe ich die Bratkartoffeln gern fein geschnitten. Können auch ein bisschen fett sein. So zünden sie die nächste Stufe in der Geschmacksrakete. Natürlich tut’s Brot auch, erfahrungsgemäß sparen Wirte aber oft am Brot. Sehe ich manchmal die zwei Scheiben auf dem Teller, kommt es mir vor, als würde ich die schon vom ALDI kennen. Dem entgeht man, wenn man gleich der Bratkartoffel sein Ja-Wort gibt. Brot kann dann weg. Ich persönlich finde, dass erst durch die Beilage – die alte DDR hätte es eine ‚Sättigungsbeilage‘ genannt – so ein Wurstsalat zu einem richtigen Essen wird.
Das Hors d’oeuvre kann dann entfallen. Das Dessert nehmen wir morgen. Selbst wenn die Wetterlage stabil scheint, tut man im Biergarten gut daran, sich auf’s Wesentliche zu konzentrieren. Auf einen Wurstsalat.