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Allgemein Essen & Trinken Kultur

Oh Hl. Bimbam

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Kann man Weihnachten übertreiben? Ja, es geht. Nicht nur in Baden-Baden.

Wer im vorweihnachtlich gestimmten Baden-Baden nicht gerade selbst in froher Erwartung ist, wird die baldige Ankunft des Krippenkindes mit all seinen Nebenwirkungen eher als Zumutung empfinden. Anlassbedingt überschwemmen derzeit Tausende von Touristen die Innenstadt. Natürlich die obligatorischen Franzosen, Schweizer und Amerikaner, vereinzelt aber aber auch schon wieder Chinesen. Sie alle kommen nach Baden-Baden, um ‚the real Christmas – Event’ zu erleben. Den etwas abseits geparkten Bussen entstiegen, nähern sie sich der Innenstadt. Schon anfänglich fast trunken vor Heilserwartung, lässt sich auf dem Christkindlesmarkt dieser beseelte Zustand durch das Zuführen von Glühwein noch kräftig steigern. Fortan sieht man alles doppelt. So etwas nennt man ein Lichtermeer.

Hinzu kommen die jüngst Zugezogenen. Nach dem Angriff auf die Ukraine hat sich die Zahl der jährlichen Weihnachtsmarktbesucher durch den Zuzug russisch/ukrainisch sprechenden Flüchtlinge noch deutlich vermehrt. Bis vor nicht allzu langer Zeit waren es zunächst nur die hier ansässigen Russen. Baden-Baden, ein Sehnsuchtsort.

Nachdem die Russen 1918 im Zuge der Russischen Revolution den Zar und seine Familie umgebracht hatten, entdeckten deren Nachfahren hier in Baden-Baden die ‚gute alte Zeit‘. Dazu gesellen sich jetzt aber nun eine große Anzahl vor dem Krieg geflüchteten Ukrainer. Noch scheinen die beiden Volksgruppen einvernehmlich nebeneinander auszukommen. Immerhin eint beide Gruppen ein auffallender Hang zu selbstgefärbtem Blondhaar und mit Pailletten besetzten Jeans. Weiter gefällt man sich in Strickmoden, deren lilafarbenen Zopfmuster kongenial ergänzen werden durch einen erstaunlichen Hang zu überschweren Parfums.

Die Ortsansässigen sehen sich kaum in der Lage, die beiden Gruppen sprachlich von einander zu trennen. Die Russen werden von den Einheimischen eher mir Argwohn betrachtet. Unausgesprochen wirft man ihnen vor, Putins Expansionskrieg gut zu heißen. Den Geschäftsleuten ist’s egal. Überall werden Arbeitskräfte gesucht. Zudem geben sich die in die Zugewanderten große Mühe, Deutsch zu lernen, was insofern nicht weiter verwunderlich ist, als dass die hier bereits sich heimisch fühlenden Deutschrussen heftig darauf bestehen, als Ur- Deutsche zu gelten. Ansonsten pflegt man die Liebe zur slawischen Heimat und deren kulinarischen Köstlichkeiten.

Wer z.B. hier nach dem authentischem Borschtschgenuß sucht, sieht sich hier vom „MixMarkt“ der Monolith Gruppe – ein Großhändler für den Export slawischer Produkte – bestens versorgt. Gegen Heimweh hilft z.B. der Genuss von ‚Rjaschenka‘. Ein Festmahl kann man mit ‚Plombir‘ oder einem Speiseeis der Marke ‚Eskimo‘ abschließen. Wem das noch nicht reicht, der wird auf der Suche nach einer weiteren Zumutung in der Mitte der Stadt fündig. Dort trifft man auf den „Löwenbräu-Keller“ mit seinem Biergarten. Wie in jedem Winter wurde er auch dieses Jahr wieder saisonal umfunktioniert.

Wer sich also nach Borschtsch verzehrt, wer Geschmack findet an eingearbeitetem, blondem Falschhaar – dem wird beim Anblick dieses weihnachtlichen Ensembles das Herz aufgehen. Selbst wenn man die Deko Orgie elsässischer Vorgärten mit all ihren Gipszwergen, farbigen Störchen und ‚Hansi‘-Figuren als Vergleich heran zieht, selbst dann darf man das dortige Sammelsurium als einen Meilenstein der Geschmacklosigkeit ansehen. Nicht ganz frei ohne Bewunderung fragt man sich, in welchen Keller und Ablagen der Gärtner dieser Zauberlandschaft gestöbert haben muss, um mit der Überfülle dieses weihnachtlichen Krimskrams aufzuwarten.

Allgemein Gastbeiträge Institutionen Kultur

Schönes Gestern

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Vor 200 Jahren war im Baden-Badener Kurhaus erheblich mehr los

‚To be or not to be‘ – nicht nur Hamlet steht immer wieder vor dieser Schicksalsfrage von Sein oder Nicht-Sein. Im anglophilen Kurstadt-Marketingslang trägt die sehenswerte Ausstellung im Stadtmuseum Baden-Baden anlässlich des 200. Bestehens des Kurhauses den anspruchsvollen Titel „The Place to be“ (Neudeutsch: Hotspot).

Fast zwei Jahrhunderte lang rechtfertigte der Betrieb im ursprünglichen „Konversationshaus“ samt Spielbank diese Bezeichnung durchaus: In der ehemaligen „Sommerhauptstadt Europas“ steppte vulgär ausgedrückt der Bär. Die Reichen und Schönen, die Elite von Geist, Geld und Macht samt manchmal zwielichtigem Gefolge von Hochstaplern, Glücksrittern und Kurtisanen amüsierten sich im 19. Jahrhundert zwischen Kurhaus, Theater und Allee. In den eleganten Sälen des Weinbrenner-Baus wurde musiziert, getanzt, gespeist, gespielt und die hohe Kunst der Konversation gepflegt.

Die von Heike Kronenwett kuratierte Ausstellung versetzt die Besucher im Erdgeschoss des Museums in diese Hochzeit des Kurhauses – und Baden-Badens – vor allem dank der genialen Spielbankpächter und Unternehmer Jean Jacques und Èdouard Bénazet. Zu den schönsten Exponaten zählen die lackierte Reisetruhe von Napoleons Stieftochter Stéphanie und die Casino-Installation mit dem berühmten Klondyke-Pferdchenroulette.
Das zweite Jahrhundert ließ sich schon weniger unbeschwert an Noch immer aber diente das Kurhaus der Unterhaltung auf hohem Niveau, wenn auch unter unerfreulichen politischen Vorzeichen. Das Wirtschaftswunder ließ auch Baden-Baden nach dem Zweiten Weltkrieg wieder erblühen und fand eine prächtige Bühne im Kurhaus. Glanzvolle Bälle, Misswahlen, Modenschauen der Haute Couture, Showstars wie Josephine Baker und Marlene Dietrich, gekrönte Häupter wie der Schah von Persien samt Soraya oder Hussein von Jordanien, Politiker von Valèry Giscard d´Estaing über Bill Clinton oder Barack Obama – die Fotos im oberen Stockwerk erinnern an großartige „Events“ der Vergangenheit. Das Kurhausrestaurant wurde zu der „guten Stube“ der Baden-Badener – wer etwas zu feiern hatte, ließ sich hier kulinarisch verwöhnen und gern von den Spaziergängern durch die großen Fenster beobachten. Literarische Gesellschaften und Baden-Badener Clubs nutzten die Kurhausräume für ihre Treffen und andere Veranstaltungen.
Corona verdammte auch das Kurhaus zu einem Dornröschendasein, und noch immer herrscht hinter der klassizistischen Fassade sehr wenig Betrieb im Vergleich zur Vergangenheit. Große Bälle? Fehlanzeige, selbst der international renommierte Grand Prix Ball als ehemaliger Höhepunkt der Großen Woche fiel dem Rotstift der Baden-Baden Events zum Opfer. Silvester darf der „schönste Ballsaal Deutschlands“ noch für einen Abend seine Eleganz entfalten, Tanzturniere und –shows wie die Welttanzgala am 2. November setzen Highlights.

Der Playboy hat das einmalige Ambiente für seine Gala entdeckt, und der „Sportler des Jahres“ sorgt für TV-Präsenz. „Bis heute gastieren zahlreiche Shows und Musicals im Bénazet-Saal, und er wird für diverse Festlichkeiten und Kongresse genutzt“, heißt es im Ausstellungstext, der kleine Prospekt wirbt da schon blumiger: „Bis heute ist das Kurhaus das gesellschaftliche und touristische Zentrum Baden-Badens, bekannt für das Glücksspiel, für glanzvolle Veranstaltungen und als Ort vielfältiger Begegnungen -,the Place to be‘.“
Bummelt man aber abends durch den Kurpark, erweckt das Kurhaus oft eher den Eindruck eines „lost Place“. Kaum Gäste im „Hectors“, verwaiste Bel Etage. Der Weinbrennersaal bewährt sich weiterhin als Heimat der Philharmonie mit ihrem großartigen Programm, und natürlich sorgt das Casino für (Nacht-)leben. Als „gesellschaftliches Zentrum“ der Baden-Badener fällt das Kurhaus jedoch eher in die Kategorie „Lost Place“ – oder kennen Sie einen Kurstadtbürger, der es voller Stolz als seinen „Place to be“ bezeichnen würde?

 

(Irene Schröder)

Allgemein Gastbeiträge Kultur Malen & Schnitzen

„I FEEL THE EARTH WHISPER“: Eindringlich flüstert Mutter Erde

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Die aktuelle Ausstellung im Museum Frieder Burda beschert Momente der Ruhe samt Wellbeing

Ernesto Neto, Blue tree, 2024. Courtesy the artist and Tanya Bonakdar Gallery, New York / Los Angeles; Fortes D’Aloia & Gabriel, São Paulo and Rio de Janeiro © Ernesto Neto; Foto: N. Kazakov

Schon seit seiner Eröffnung vor zwei Jahrzehnten steht der elegante Museumsbau in engem Kontakt mit der Natur, denn immer wieder fällt der Blick der Besucher auf die Lichtentaler Allee und den angrenzenden Kurpark, setzt unbewusst neben der aktuell gezeigten Kunst auch die grüne Nachbarschaft in Szene. Diesen Anspruch von Architekt Richard Meier setzt das Kuratorenduo Patricia Kamp und Jérôme Sans unter dem Leitmotiv „I feel the earth whisper“ im Museum Frieder Burda gekonnt und mit vielen Überraschungen um und entspricht damit exakt der Forderung des Internationalen Museumsverbandes von 2022, „vielfältige Erfahrungen hinsichtlich Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch“ zu bieten. Profan gesagt: Museum darf und soll auch Spaß machen, den manchmal elitären Elfenbeinturm getrost verlassen und den Austausch mit ungewöhnlichen Partnern suchen.
Vier internationale Künstler haben sich für diese Ausstellung auch von der unmittelbaren Umgebung inspirieren lassen: Ein wildes, atmendes Haus hat die Südafrikanerin Bianca Bondie unter dem Motto „Salt kisses my lichens away“ geschaffen. Sagen aus dem Schwarzwald und der badischen Geschichte werden in Wandteppichen und Tapeten mit Moos, Wasser und Pflanzen verwoben und entwickeln sich im Laufe der Zeit durch chemische Prozesse zu einer unwirklichen, spirituellen Umgebung.
Schwarzwald und ein ecuadorianischer Küstenwald verbinden sich per Live-Video in Julian Charrières Projekt „Calls for action“. Es ist Bestandteil der Ausstellung „Where cloud becomes smoke“ des französisch-schweizerischen Künstlers, der sich vor allem mit der komplexen Verflechtung von Mensch und Natur befasst.
Speziell für das Museum Frieder Burda hat Sam Falls seinen Beitrag „Waldeinsamkeit“ aus Heilsteinen, Keramik, Gussglas und Leinwänden geschaffen. Unter anderem legte der Amerikaner im Wald eine große Leinwand aus, auf der er Blumen und Zweige arrangierte. Im Laufe der Zeit hinterließen sie auf der Leinwand ihre fast unheimlich wirkenden Abdrücke und Farbspuren.


„Schuhe aus“ heißt es vor dem Betreten des „Blue Tree“, einer riesigen Baumstruktur, die der Brasilianer Ernesto Neto aus handgehäkelten brasilianischen Baumwollstoffen schuf. Als Spielplatz und Ruheort will er diesen speziellen Raum verstanden wissen, den Gefäße mit Pflanzen, Kräutern und Gewürzen schmücken. 13 Meter hohe „Regenwände“ aus Stoff umfließen die Installation, deren Magie sich wohl kaum ein Besucher entziehen kann. Hier glaubt man, das Flüstern der Erde vernehmen zu können, untermalt von leisen Klängen der ausgelegten Instrumente.
„Schuhe an“ – und zwar möglichst solide – lautet dagegen die Devise bei den Spaziergängen, die Forstamtsleiter Thomas Hauck anbietet. Von der Stourdza-Kapelle aus geht es durch den Friesenwald, wobei immer wieder Bezüge von der Ausstellung zu Baden-Badener Flora und Fauna hergestellt werden. Die Geroldsauer Wasserfälle und die Bussackerhütte werden ebenfalls unter Haucks Führung angelaufen. „Waldbaden“ lässt sich aber eigentlich überall im Baden-Badener Stadtwald auch ganz ohne Begleitung – sei es im Arboretum, im Merkurwald oder auf einem der zahlreichen Wege zwischen Wolfsschlucht, Altem Schloss oder Fremersberg. Und wer dabei einen Baum als Freund umarmt, vernimmt vielleicht ein heiteres Flüstern …
Zurück zum Museum: Selbstverständlich werden in den kommenden Wochen bis zum Ausstellungsende am 3. November Kreativ- und Kursprogramme für Kinder und Erwachsene in museumspädagogischer Tradition angeboten. Ungewöhnlich ist dagegen der Programmpunkt „Wellbeing im Museum“. Damit ist keineswegs ein schickes Spa mit Naturkosmetik umschrieben, sondern Yoga- und Soundhealing-Angebote oder Handpan-Workshops, bei denen Kunst mit allen Sinnen erlebt werden kann. Menschen mit besonderen Bedürfnissen soll der Zugang zu den Kunstwerken durch drei erfahrene Guides ermöglicht werden. „Kunst am Morgen mit allen Sinnen“ wendet sich speziell an Autisten, „Kunst-Erinnerungen“ soll Menschen mit Demenz und ihren Betreuern den Zugang zur Ausstellung ermöglichen.
Das gemeinsame Ziel dieser weitgefächerten Programmpalette: In einer Welt, die immer komplexer, umtriebiger und auch bedrohlicher zu werden scheint, die Chance zum Innehalten zu nutzen, die Gemeinsamkeiten und gegenseitigen Abhängigkeiten von Mensch und Natur zu erkennen und auf die leisen Töne des Miteinanders zu hören. Mit viel Glück versteht der Eine oder Andere dann auch das Wispern von Mutter Erde, das so leicht im Alltagslärm untergeht.

(Irene Schröder)

 


Alle Infos zu Öffnungszeiten, Eintrittspreisen und Programmen unter www.museum-frieder-burda.de

Allgemein Auswärts Kultur

„Komm ein bisschen mit nach Italien…“

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Nix wie hin – im Frühling nach Como

Die Ansage war kurz und knapp. Als Peter Alexander 1956 im Radio sang: „Komm ein bisschen mit nach Italien“ folgten dem Aufruf tausende deutsche Väter. Sie packten Frau und Kinder in den VW Käfer und machten sich auf den Weg. Über den Brenner oder den Gotthard. War man dann nach langer wassergekühlter Fahrt in Italien angekommen, begrüßte einen zunächst die Stadt Como, wo viele der Familien sich erst mal auf dem Campingplatz einrichteten. Dies war nicht selten der Anfang einer langen Freundschaft.  Man kam immer wieder. Und in der Tat ist Como eine Stadt, in die man sich verlieben muß. Am unteren Ende des Comer Sees gelegen, empfängt sie den Besucher zunächst mit dem sich zum See öffnenden ‚Piazza Cavour‘, benannt nach dem Mitbegründer der italischen Einheit.

Hat man erst einmal das hässliche Hotel an der Rückseite übersehen (dem man die Loriot’sche Steinlaus ins Gemäuer wünscht!), gelangt man an einer prächtigen Häuserzeile vorbei auf die ‚Piazza Duomo‘, die man sich merken sollte – der Dom ist eine der großen Sehenswürdigkeiten. Zunächst aber sollte man sich die Stadt und ihre geschmackvoll gekleideten Bewohner – ca 100 000 an der Zahl – durch das Flanieren erschließen. Und in der Tat: Como ist für den Besucher eine Stadt des Müssiggangs. Natürlich wird hier gearbeitet, und wie! Aber nach außen hin macht alles einen wunderbar entspannten Eindruck. Einzelne Personengruppen plaudern vor eleganten Geschäften, Paare diskutieren, vor stilvollen  Cafes sitzend. Dazwischen gemächlich dahingleitende Fahrradfahrer. Das Radeln hier hat fast etwas Meditatives.

Das liegt natürlich auch daran, dass die Geschäfte mit ihren Auslagen überaus geschmackvoll sind. Das süsse Nichtstun wird durch den exquisiten Einkauf sinnvollerweise ergänzt. Ob Mode, Schmuck, Wohnungsaccessoires – Como ist eine einmalig schöne Einkaufsstadt.  Das historische Zentrum mit seinen gepflasterten Gassen ist die Konsumverführung per se. Und das Erfreuliche dabei: nach dem Kauf bereut man nichts, nicht einmal den Preis…

Beim Durchstreifen der Altstadt wird man auf die ‚Piazza San Fedele‘ stossen. Dort sollte man sich am Café Aida niederlassen. Zwei, drei Spatzen zu Füssen warten dort schon auf Gebäckkrümel. Zwei Krümel haben sie schon im Mund, hätten aber noch Platz für einen weiteren. Es scheint, dass italienische Spatzen den Schnabel nicht voll genug kriegen können.

Lässt man dann den Blick über den Cappuccino und ein traumhaftes Gebäck aus Mürbeteig namens ‚Apollo‘ schweifen, entdeckt man gegenüber vom Café den Eingang der kleinen Basilika ‚San Fidele‘ aus dem 12. Jahrhundert, deren dunkles Inneres etwas aufgehellt wird durch eine in Signalfarben gekleidete russische Reisegruppe, die ergriffen vor einem ikonenähnlichen Marienbild steht.

Weit prunkvoller präsentiert sich da der Dom ‚Santa Maria Maggiore‘, der mit seiner prächtigen Fassade aus weißem Marmor eine der bedeutenden Sehenswürdigkeiten von Como, ja, ganz Oberitaliens ist. Rechts und links des Portals die Büsten der bekanntesten Bürger der Stadt: Plinius der Ältere und Plinius der Jüngere. Letzterer hat den Ausbruch des Vesuvs 79 n. Chr. detailgenau in zwei Briefen an Tacitus festgehalten (und bei dem sein Onkel den Tod fand). Im Inneren der Kirche eine mächtige Orgel, und bei der Größe ist man froh, dass der Organist auf den vollen Einsatz sämtlicher Register verzichtet.

Tritt man wieder hinaus ans Tageslicht…

Demnächst mehr!

Allgemein Kultur Musik

Simon Rattle – geschenkt!

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Das Rheingold/Richard Wagner/Berliner Philharmoniker/Sir Simon Rattle

Einmal dabei: zum Konzert in die Isarphilharmonie

Ich gehe gern ins Konzert, wobei ich sagen muss, dass mich das Symphonische ganz besonders anspricht – vor allem natürlich dann, wenn ich eingeladen bin. Gestern z.B. war wieder einmal so ein Tag, der es gut mit mir meinte. Das freute mich ganz besonders, weil die Konzertkarte stolze € 81 gekostet hätte. In so einem Fall genieße ich das natürlich doppelt, vor allem, weil das ja nicht alltäglich ist. Freilich sollte man -auch wenn man eingeladen ist – etwas dafür bekommen.
Versprochen war ein Konzert des Symphonieorchesters des Bayrischen Rundfunks unter der Leitung von Simon Rattle. Freunde gepflegten Orchesterklangs dürfte er bestens bekannt sein, schon allein wegen seiner Frisur, die, eine Überfülle weißgelockter Haare, auch die Hülle seiner Schallplatten ziert. Man könnte sie durchaus als ein Markenzeichen von ihm bezeichnen, zumal sie ihm sowohl auf der Plattenhülle als auch beim Auftritt gut zu Gesicht steht. Dies dürfte auch am englischen Königshof nicht ganz unbemerkt geblieben sein, denn man hatte ihm – auch seiner enormen Musikalität wegen – schon vor geraumer Zeit den Titel ‚Sir‘ verliehen. An besagtem Abend also dirigierte Sir Simon Rattle.

Stilistisch betrachtet gab’s Spätromantisches. Berlioz, Debussy und Ravel. Dazu kam das Werk des nicht so bekannten Charles Koechlin. Dem Namen nach Elsässer, war er aber doch – wie ich dem Programmheft entnahm – ein waschechter Franzose, was einmal mehr unterstreicht, dass der Erwerb eines Programmheftes eine sinnvolle Investition sein kann. Dort war er zudem als „Stilles Genie unter Krachmachern“ angekündigt, was aber nicht ganz stimmte. An b1esagtem Abend verdankten wir ihm  das lauteste Stück!

Dass ich das so empfand, lag ein Stück weit auch an meinem Sitzplatz in der 4. Reihe. Die Reihen 1-3 waren gar nicht vorhanden, weshalb dort, wo die Reihe 1 hätte sein müssen, schon das Orchester saß, das nun begierig darauf wartete, sich unter die ‚Stabführung‘ des Maestro zu begeben. Das Orchester war erstaunlich groß. Allein sieben Streichbässe!  Manch einer mochte sich fragen, ob’s ein oder zwei Bässe weniger nicht auch getan hätten. Jedenfalls gab es an diesem Abend ungewohnt viele Musiker für vergleichsweise wenig Geld.

Das Programmheft hatte dem Dirigenten im Vorfeld „Bezwingendes Charisma“ bescheinigt, doch als er dann endlich aus der Kulisse trat und hochdynamisch dem Podest zustrebte, kam er – die Höhe falsch einschätzend – beim Ersteigen des Podests fast zu Fall. Dass so etwas einem erfahrenen Dirigenten passiert!

Er hatte sich aber schnell wieder gefasst, und so konnte das Konzert mit Berlioz’ ‚Romeo et Juliette’ beginnen, ein Stück, dessen Interpretation ein Kritiker später als bezwingend lobte und dessen wuchtiger Klang noch dem letzten Besucher klarmachte, wofür man die enorme Menge an MusikantInnen aufgeboten hatte – von den sieben Bässen gar nicht zu reden. Wunderbar auch, dass man endlich einmal die Harfe zu sehen bekam. Normalerweise versteckt man das an sich doch schöne Instrument im Orchestergraben. Und auch eine Harfenistin war zu sehen, die, wie oft genug, keineswegs blass und blond war, sondern die Zuhörer mit lebendigem Teint und dunklem Haar für sich einnahm. Gut zu sehen auch, dass sie bei diesem Repertoire alle Hände voll zu tun hatte.

Meiner vorgeschobenen Sitzposition verdankte ich außerdem eine klare Sicht auch eine ca 40 jährige Violonistin, die in meinem unmittelbaren Blickfeld musizierte und als eine der wenigen, soweit ersichtlich, keinen schwarzen Punkt am Kinn hatte, eine Art Druckstelle, die, so versicherte man mir,  in der Regel auf fleißige Übungtätigkeit verweist. Über weite Strecken geigte sie überaus engagiert auf. War sie musikalisch nicht gefordert, lugte sie ganz entspannt in die Gegend. Ein klarer Hinweis darauf, dass die wahre Arbeit so einer Geigerin im häuslichen Kreis stattfindet.

In den stilleren Passagen des Werks fand die Muse, mich umzudrehen und die hinter mir sitzenden Konzertbesucher einmal näher zu betrachten. So kam ich nicht umhin, eine vergleichsweise hohe Dichte fernöstlicher Besucher zu konstatieren. Bei abschwellendem Orchesterlärm erstaunte mich das derart, dass ich mich fragte, ob China angesichts dieser enormen Verluste an Menschen nicht fast leer sein müsse? Nicht genug! Es gab sie auch im Orchester. In den kurzen Pausen des Werks, fragte ich mich bisweilen, was diese fernöstlichen Musiker bei so einem Werk fühlen und warum es sie deswegen in den Westen treibt. Was hat Musiker und Zuhörer aus dem fernen Kulturkreis bewogen, über den Rand ihrer Teetassen hinauszublicken und sich an die Isar aufzumachen? Was hören sie da? Sie, die vom Reis in dünnwandigen Schüsselchen groß geworden, hatten in Vorzeiten anlassbezogen noch „Tora, Tora“ gerufen; heute sitzen sie  hier im Westen, um Musikern in speckigen schwarzen Anzügen mit Schwalbenschwänzen zuzujubeln. Was macht das mit ihnen, haben sie tausende von Euro ausgegeben, um z.B. anlässlich des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker im Publikum zu sitzen? Warum macht es sie Stolz, sehen sie ihre Töchter beim Wiener Opernball übers Parkett schweben? Erinnert sie das an den langen Marsch? Rätselhafter ferner Osten!

„Ungeheuer schwierig aufzuführen“, so stand es im Programmheft. Verständlich, dass nach „Romeo et Juliette“ sowohl den Musikern als auch den Konzertbesuchern der Sinn nach einer Pause stand, über die hier nicht viel erzählt werden soll.

Zu groß war die Spannung bezüglich des noch folgenden Programms. Versprochen war noch Claude Debussy’s „Jeux“, weiter den oben bereits angeführten Charles Koechlin und, als Abschluss: Maurice Ravel, von dem man sich natürlich fragte, ob er gut ausgehen würde. Und in der Tat endete der Konzertabend so, wie man es sich wünscht. Von dem Wunsch beseelt, das Publikum nicht gänzlich zu verschrecken, hält man es üblicherweise für geboten, ein noch so dissonantes Programm versöhnlich enden zu lassen, am besten mit einem Walzer, oder, wie im vorliegenden Fall mit dem ‚La valse‘ von Ravel. Zwar bescheinigt das Programm dem Schluss des Werkes ein „fataler (…) fratzenhafter Abgang auf ein ganzes Jahrhundert“. 

Aber die meisten Besucher werden gedacht haben: besser als nichts. Großer Beifall. 


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