Category Archives: Menschen

Allgemein Auswärts Essen & Trinken Menschen

Bewegung im Ruhestand Teil 2

Published by:

Endlich daheim! Zu Gast in der Pfalz

Dies also ist der Klangteppich, vor dessen Hintergrund sich befreit auftrinken ließe. Dabei haben wir es hier mit einem Eldorado des Rentnerwesens in seiner rechtschaffendsten Form zu tun. Wer hier, am südlichsten Zipfel der Pfalz freundlich sitzt, vermittelt einem das Gefühl, am Ende des beruflichen Lebens angekommen zu sein. Jeder Schluck erzählt davon, sich den Ruhestand verdient zu haben. Handwerker, Angestellte, Gewerbetreibende. Natürlich könnte man einräumen, dass die Genussfähigkeit der Anwesenden eine absehbar endliche ist. Umso lustvoller trinkt man hier seinem fernen, doch unbestimmtes Ende entgegen.

Hätte man früher vielleicht seinen Schrebergarten gepflegt, so hat es die innnerstädtische Verdichtung besorgt, dass diese Oasen des unmittelbaren Naturerlebens zu Bauplätzen für Fertighäuser im Toskanastil umfunktioniert wurden. So bleibt dem Rentner nur, sich andersweitig zu orientieren. Hier hilft die Regiokarte der Bahn, die zu überschaubarem Preis den Bewegungsspielraum der Früh-verrenteten sicherstellt, und als dessen fröhliches Ergebnis wir in Schweigen-Rechtenbach eine beachtliche Anzahl von Gästen finden, die aus Heidelberg, Mannheim oder Ludwigshafen angereist sind.

Doch sind es nicht allein die Weine, der Saumagen oder die saisonal angebotenen Russischen Eier, die die Gäste hierher locken. Es ist mehr als das.    Gaststätten, die gerade dem älteren Gast mit einer gewissen Fürsorglichkeit begegnen, gibt es in der Pfalz viele. Und doch wird punktuell offensichtlich, dass das allein nicht immer ausreicht.

Der Rentner von heute will mehr geboten bekommen. Würde mit den Gästen stets pfleglich umgegangen, erinnerte das Gebotene an betreutes Wohnen. Im vorliegenden Fall trifft das nur eingeschränkt zu. Hier ist die gelegentliche Ansprache eine andere. Ja, man könnte von einer Erlebnisgastronomie sprechen.

So kommt man nicht umhin, das Personal mit seinen je verschiedenen durchaus unterhaltenden Charakteren näher zu betrachten. Da wäre zunächst mal der Chef. Er ist eine Persönlichkeit, die in ihrer Komplexität verstanden werden will, und die mit ihrem etwas schrägen Humor Neuankömmlinge manchmal verstört. Doch tut man gut daran, die laut aufbrausenden Worte des Wirts als Teil einer Show zu begreifen, dessen vermeintliche Ruppigkeit meist wundersam in einem Lachen endet. Er ist halt, wie er ist, sagen die Stammgäste und registrieren amüsiert die Irritation der Neuankömmlinge.

Wie in der Commedia d’ell Arte, agiert auf dieser südpfälzischen Bühne auch noch ein Tolpatsch, der, vom Chef täglich malträtiert, doch um keinen Preis der Welt irgendwo anders arbeiten wollte. „Lakai, Lakai, Lakai“, stößt er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, wenn der Oberste ihn üblerweise mal wieder als solchen bezeichnet hatte. Letztlich versöhnt mit seinem harten Los zeigt er sich erst, wenn ihm Stammgäste beim Verlassen des Hauses ein ordentliches Schmerzensgeld zustecken. Es ist eine Bühne mit durch die Bank charaktervollen Darstellern

Doch beschränkt sich das nicht allein aufs Personal.

Drüben, nahe beim großen Strauch, sitzt eine Frau in Begleitung ihres Mannes. Sie ist – wie man so sagt – „gut beieinander“. Ihr großer Busen wird nur mit Mühe gefasst von einem giftgrünen, mit feinen Goldfäden durchwirkten Pullover. Als die Bedienung an den Tisch kommt, um die Bestellung aufnehmen, bestellt die Dame einen ‚Pfälzerteller‘. Von der Bedienung gefragt, was es denn für den Herrn sein dürfe, wird sie von der Gattin knapp beschieden: der esse heute nichts; der müsse das „Gebiss schone“.

 

 

 

Allgemein Institutionen Menschen

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?

Published by:

Winfried Kretschmann: trauriges Ende einer Dienstfahrt.

Heute also erreicht uns die Nachricht, dass ein Politiker – in diesem Fall der üblicherweise überaus bedächtig sich präsentierende Ministerpräsident des Bundeslandes Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann – verunfallt ist. Das Ergebnis: drei demolierte Fahrzeuge und, was noch schlimmer ist, zwei Schwer- und ein Leichtverletzter. Winfried Kretschmann selbst war nichts passiert. Er wird die Amtsgeschäfte wieder unverzüglich aufnehmen.
Das mag man gutheißen oder nicht. Tatsache aber ist, dass das unfallverursachende Begleitfahrzeug nur so schnell fuhr, wie der Wagen des MP fährt. Dessen Fahrzeug wiederum war nur so schnell gefahren, wie der Herr Ministerpräsident es wünschte. Trotz Starkregens auf der A 81 hatte also der Lenker einer grüngeführten Landesregierung seinen Fahrer angewiesen, es jetzt man ordentlich krachen zu lassen. Termine. Sicher.

Man braucht hier jetzt nicht hämisch auf die Forderung der Grünen zu verweisen, auf den Autobahnen Tempo 120 einzuführen. Tatsache aber ist, dass es selbst einem Normalfahrer immer mal wieder auffällt, wie rücksichtlos die Politikerkaste von ihrem vermeintlichen Vorrecht Gebrauch macht, auch bei schlimmsten Witterungsverhältnissen ein Fahrverhalten an den Tag zu legen, wie sie es in Ihren Reden immer geißeln. Man könnte auch sagen: sie fahren wie die Bekloppten. Mit meist zwei Begleitfahrzeugen brettern sie dann über die Autobahnen, dass es einem erschrocken auf die rechte Spur wechselnden Normalfahrer nur Angst und Bange werden kann. Ihr Reich scheint nicht von dieser Welt.

Termindruck? Das sicher.

Und doch: nehmt euch Politiker nicht so wichtig. Und haltet Euch an das, was ihr von uns, dem Wähler, immer fordert. 

Allgemein Menschen Texte / Poesie

Der Mann ganz vorne  

Published by:

hören wir uns leise Seufzen. Schlimme Sache, klar. Aber irgendwann soll es auch gut sein. Zumindest hier bei uns. Also machen wir jetzt mal etwas anderes. Wir bringen eine Geschichte aus dem wirklichen Leben. Recht lustig soll sie sein. So, wie das Leben halt manchmal ist. Wir teilen sie in drei Teile. Und dann  hängen wir die Teile aneinander. Man kann die drei Folgen aber auch kopieren und ausdrucken. Na, sowas. Also jetzt geht’s los:

Der Mann ganz vorne                                                                  Folge 1

Weich eingebettet liegt das Sendezentrum inmitten grüner Hügel. Im Inneren reges Treiben, auch im vierten Stock, am Ende des Flurs. Dort arbeitet hinter einem riesigen, noch vom Vorgänger stammenden dunkelbraunen Schreibtisch der Hauptabteilungsleiter Wilhelm Reger, dessen konsequent durchgeplan-ter Werdegang ihn nach Abschluss eines Studiums der Jurisprudenz ihn zunächst zum Referenten des Fernsehdirektors führte. Von da aus war es, nach dem Weggang seines Förderers, nur ein kleiner, aber bedeutender Schritt hin zur Stelle eines Abteilungsleiters.

Durch das großen Bürofenster die kleine Stadt weit unten betrachtend, fiel fortan immer mal wieder sein Blick auf den Gummibaum zu seiner Rechten. Dort ruhte, wenn es der Linderung bedurfte, sein Auge sanft, vor allem dann, wenn Ruhe einkehren sollte in seinen unruhigen Sinn. Marterte ihn eine der Aufgaben, die das Amt so mit sich brachte, fand er Ruhe beim Betrachten der Pflanze, dessen fette Blätter stets von Frau Maller abgestaubt und dessen trockene Erde mittels einer kleinen kupfernen Gießkanne mit weit ausladendem Schnabel aus poliertem Kupfer bewässert wurde.

Vor allem Personalentscheidungen waren es, die ihm bisweilen Kopfzerbrechen bereiteten. Zwar war es keineswegs so, dass er nicht über das nötige Maß an Härte verfügt hätte, die ein so herausragendes Amt fordert. Da konnte er durchaus ein entschlossenes Vorgehen an den Tag legen. Nein. Es war die das Amt so unbequem machende Ambivalenz zwischen einerseits nötiger Härte, andererseits dem Wunsch, die von einer Entscheidung Betroffenen würde diese, wie er ja schließlich auch selbst, als übergeordnet und notwendig einsehen. Zunächst ließe sich sagen: alle ziehen am selben Strang. (Doch wäre in diesem Fall präziser: der eine zieht, der andere hängt). In solchen unkommoden Momenten sah er sich lediglich als Überbringer, nicht als der Verursacher einer schlechten Nachricht. Diese für beide – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – unangenehmen Gespräche pflegte er möglichst rasch und mit einem finalen „Nichts für ungut“ oder auch „Nehmen sie’s nicht persönlich“ ausklingen zu lassen, hoffend, dass sich das Thema für ihn danach erledigt hätte und er aus der Nummer raus sei.

Bisweilen aber gelang es ihm, einfach abzutauchen und das für ihn höchst Unangenehme mit einer Geste, die er für durchaus angemessen hielt, von sich zu schieben. So z.B. als auf einen fernen Ratschluss hin die ihm unterstellten Fernsehansagerinnen vom für sie so ungemein wichtigen Bildschirm verbannen sollte. Es wäre jetzt also an ihm gewesen, die Exekution klar zu kommunizieren. Jedoch glaubte er durchaus darauf vertrauen zu dürfen, dass sich dies im Kreise der Damen – und es waren ausschließlich solche – bereits rumgesprochen hätte. So sah er sich von der Last, die letztlich bittere Wahrheit zu überbringen, ent-bunden. An einer den Schmerz lindernden Geste aber sollte es nicht fehlen. Er bat den Hausmeister, in der Kantine Getränke zu besorgen. Je einen Kasten Bier und eine Kiste FANTA. Beide. Kasten und Kiste, möge er doch bitte in den Aufenthaltsraum der Damen bringen. Das Maß der Fürsorglichkeit erweiternd, regte er an, auch noch einen Flaschenöffner mit kurzer, aber nicht zu kurzer Schnur am Kasten zu befestigen. So ein Flaschenöffner ginge nun mal leicht verloren. Und bitte nicht vergessen zu sagen: man möge sich bedienen.

Farblich gesprochen war dieser Alltag grau. Mal mehr, mal weniger, aber letztlich doch grau.

Dann aber zeichnete sich überraschend ein Heute ab, das versprach, Farbe ins Leben zu bringen. Die Stelle eines Hauptabteilungsleiters ‚FS-Unterhaltung’ war überraschend frei geworden; es galt sie zu besetzen. Man suchte jemanden, dem zuzutrauen war, dieses hauspolitisch eigentlich bedeutungsarme, doch für das Erbringen von Einschaltquoten nicht unwichtige Amt auszufüllen. Nachdem er also schon einmal bewiesen hatte, dass er als Vorgesetzter imstande war, sich ohne viel Federlesens und in der gebotenen Stille von subalternen Mitarbeiterinnen zu trennen, hatte er sich daran anschließend für weitere, höhere Aufgaben empfohlen.

Jetzt also galt es, sich in einem neuen Amt zu versuchen, und dank des Appendix’ ‚Unterhaltung’ taten sich für ihn selbst überraschend eine Fülle neuer Möglichkeiten auf, von denen er sich eine gewisse Freiheit versprach. Zum einen durfte er amtsbedingt darauf hoffen, der strengen Kontrolle seiner Gattin zu entkommen. Sie hatte ihn nach zeitweilig ausufernder nachdienstlicher Einkehr in der funknahen Kneipe („happy hour“) in zunehmend ruppigem Ton zu alsbaldiger Heimkehr genötigt. Zum anderen aber wiesen ihm die in Zukunft anstehenden Außenproduktionen von Fernsehshows einen durchaus gangbaren Weg zu möglichem Lebensgenuss.

„Der Himmel ist hoch und der Zar ist weit“, pflegte er dann zu sich selbst zu sagen, sah er sich doch in Zukunft befreit von häuslich-familiärer Enge, aber auch von den lästigen Pflichten eines durchbüro-kratisierten Alltags innerhalb des Betriebs.

Zudem versprach sein neues Tätigkeitsfeld eine Fülle neuer Möglichkeiten, sich einladen zu lassen. Keine Produktion ohne Arbeitsessen mit den Kooperationspartnern, keine glücklich zu Ende gegangene Live-Sendung, die nicht in einer sogenannten ‚Afterwork Party’ ihren verdienten Abschluss gefunden hätte. Immer mit Alkohol, oft mit Gesang, ja, manchmal sogar mit Tanz. Sah man ihn anfänglich noch etwas unsicher am Rande stehen, mit einem Bier in der Hand sich vorsichtig und ungelenk zur Musik bewegend, so gewann er zunehmend Sicherheit, bis er dann zu vorgerückter Stunde und von allen bejubelt, tänzelnd ins Geschehen eingriff. Soviel Vergnügen war noch nie.

Später, viel später, nun im Ruhestand, hätte man ihn manchmal noch in der Stadt sehen können beim fast rührenden Versuch, wenigstens zeitweise den fürsorglichen Fängen seiner Gattin zu entkommen. Denn plötzlich war seine Anwesenheit, da ja nun ohne Amt, nicht mehr länger gefragt. Ein Anderer war jetzt an seine Stelle getreten. Vorbei die vielen Einladungen, all die Schmeicheleien. Was blieb, war die schmerzliche Einsicht, dass man ihn über all die Jahre seiner beruflichen Stellung, nicht aber seiner eventuellen Liebeswürdigkeit wegen eingeladen und hofiert hatte. Es sollte ein langer Winter werden.

So blieben ihm jetzt vor allem das Warten auf die seltener werdenden Verwandtschaftsbesuche und – häufiger – kleine Besorgungsgänge in die Innenstadt, die sich im alltäglichen Einerlei als willkommene Abwechslung anboten. Dazu trug er ein kleines, grünes Rucksäckchen, aus dem, wann immer ich ihn später noch sah, ein einsamer Lauchstengel ragte. Nach dem Einkauf ging er wieder nach Hause, ein zunehmend grauer Mann mit seinem aus dem Rucksack ragenden Gemüse, das immer etwas traurig zu winken schien, bevor dann beide, als hätte es sie nie gegeben, im Dunkel der Alleebäume verschwanden. Und immer war mir, als hätte dieser schwankende Stengel etwas von der Trauer eines Kindes an sich, das mitten aus dem Spiel gerissen, den anderen Spielkameraden noch zuwinkt, ehe es nach hause muss.

Doch noch war es nicht soweit…. Fortsetzung folgt

Allgemein Blättern & Rauschen Menschen Texte / Poesie

Der Dichtungsring – Erster Teil

Published by:

Warum die poetischen Zeugnisse einer ganz normalen Werktätigen wert sind, veröffentlicht zu werden

Das ist nicht Frau Gebert mit ihrem Wischmopp, sondern Apollo, der Gott des Dichtens, mit seiner Lyra. 

Vorgestern war unsere Reinigungskraft, Frau Herta Gebert, merkwürdig still. Das ist gar nicht ihre Art. Meistens ist sie lustig, sorglos und – im Rahmen ihrer körperlichen Möglichkeiten – irgendwie leicht und unbeschwert. Das mag ich an ihr. Vor allem, weil man weiß, dass es kaum Schlimmeres gibt, als eine schlechtgelaunte Reinigungskraft. Dann wird nicht sauber geputzt, staubige Ecken bleiben unbesucht und manchmal fällt auch noch eine Vase runter.

Also hatte ich vorsichtig nachgefragt, ob es einen Grund dafür gibt, dass sie so ist, wie sie ist. Liegt es vielleicht am Herbst mit seinem Laub in der Allee und dem Nieselregen? Und: könne ich ihr vielleicht helfen? Wollen wir reden? Liegt etwas an? Vielleicht steckt hinter ihrer Nachdenklichkeit ja auch der Wunsch nach einem neuen Wischmopp?

Zunächst schien sie fast etwas ungehalten. Auf mein bohrendes Nachfragen erfuhr ich aber, dass sie Gedichte schreibt, zwar nur so für sich. Sie hätte sich nun schon seit Langem mit der Frage beschäftigt (ich glaube, sie sagte gequält), ob wir auf unserer Website nicht mal das eine oder andere ihrer Gedichte veröffentlichen könnten? Schließlich würden wir übers Jahr so Vieles veröffentlichen: Interessantes, aber auch nicht so Interessantes, Witziges und überhaupt nichts Witziges, manchmal Starkes aber oft auch Schwaches. Plötzlich verstummte sie, weil sie ahnte, dass ihre Ausführungen vielleicht wenig zielführend sein könnten. Jedenfalls, fuhr sie fort, hätten ja viele Dichter mal klein angefangen. Goethe vorneweg, aber auch Federico García Lorca. Dann solle man Jorge Luis Borges nicht vergessen, dessen Frühwerk sie ganz besonders schätzte. Und dann erst Mark Twain! Ob ich gelesen hätte, was der über die Baden-Badener geschrieben hatte? Und was ist mit Henscheid, der viel zu früh Verstorbene? Grass – nun ja, Grass. Aber Nietzsche! „Ich sage nur: Nietzsche“, sagte sie und schürzte die Lippen, als hätte sie ein ‚Mon Cherie’ im Mund.

Das mit dem Wischmopp war mir auf einmal sehr peinlich, denn nun entdeckte ich Frau Gebert von einer bislang unbekannten Seite. Während sie täglich so stumm vor sich hin putzt, macht sie sich also nicht nur tätigkeitsbezogene Gedanken, sondern sie schmiedet offensichtlich auch noch eigene Verse; sie macht sich einen Reim drauf. So gesehen verweist das Schwenken des Staubwedels noch auf Qualitäten ganz anderer Art.

Die Frage stellte sich für uns letztendlich ja so: sind wir groß genug, angesichts eigener Unzulänglichkeiten, wirkliche wahre Größe zu erkennen? Und wenn ja, dieser dann auch Raum zu geben? Und zwar nicht nur zum Putzen! So scheint es uns ein Gebot der Fairness, unseren Lesern die Chance zu eröffnen, Ausschnitte aus dem poetischen Werk einer stillen Reinigungskraft kennenzulernen und so das Dichtwerk dieser weithin unbekannten Frau auf diese Weise einer größeren Öffentlichkeit zugängig zu machen.

Da das Ganze ja einen Namen haben muss, haben wir diesen Gedichte-Zyklus jetzt mal den „DICHTUNGSRING“ genannt, was zum einen ein Arbeitstitel ist, zum anderen aber auf ihren fortwährenden Kampf mit einem tropfenden Wasserhahn verweist.

So. Genug geredet. Jetzt das erste Gedicht von Frau Gebert! Weitere werden im Laufe der kommenden Woche folgen. Sie können sich schon mal darauf gefasst machen.

 

 

Relativer Fliegenflug

Die Fliege denkt:

Einsteins Physik!

Ich flieg im Raum

Und krieg nichts mit.

Lang leb’ ich nicht,

dann ist’s zu spät.

Ich pfeif’ auf Relativität.

Allgemein Blättern & Rauschen Kultur Menschen

Die Bücherpflegerin

Published by:

IMG_0620Daniela Lipps rettet, was zu retten ist: Bücher

Es sind vor allem die Farben. Zunächst das gedeckte, schon leicht ausgewaschene Grün der Fassade. Dann eine französische Fahne, die müde und verblichen vor dem schönen, alten Haus an der Luisenstraße, steht. Gegenüber der Trinkhalle. Die Fahne erinnert daran, dass Baden-Baden früher einmal, in den Zeiten des Herrn Benazet, eine sehr französische Stadt war. Die Hausnummer 30 hatte vormals ein Blumengeschäft beherbergt, das aber seit langem geschlossen ist, und rückblickend selten farbenfrohe Rosen, Nelken oder Tulpen im Verkauf hatte, dafür aber Vergissmeinnicht, Calla und auch Lilien, alles, was man für Beerdigungen halt so braucht.

Das hat sich seitdem geändert. Jetzt, da dort seit mehreren Jahren eine Buchbinderei eingezogen ist, schmücken ein Gummibaum und die Grünlilie das Schaufenster, deren weiß-grüne Blätter farblich ja auch nicht so der Knaller sind. Was ja vielleicht auch nicht unbedingt zu dem kontemplativen Gewerbe passen würde, dem Daniela Lipps, achtunddreißig Jahre alt, dort nachgeht. Ihre Welt sind die Bücher, meist der älteren Art. Antiquariatsbücher. Manche verstaubt oder vergilbt. Soweit ihr möglich restauriert sie diese, bindet sie neu oder ordnet sie, wie z.B. die Monatsschriften der hier ansässigen Rechtsanwaltskanzleien.

Das ist jetzt ihre Welt. Sie ist Baden-Badenerin. Nach einer dreijährigen Ausbildung in der Unibibliothek in Kaiserslautern geht sie nach Freiburg, um dort Mathematik zu studieren. Von dort kehrt sie diplomiert zurück und übernimmt ein Buchbindergeschäft in Lichtental, bevor sie in der Innenstadt ihr jetziges Geschäft findet. Richtet sie ihren Blick nach draußen, durch das weißgestrichene Gitter ihrer Eingangstür, blendet sie das Grün der Lichtentaler Allee.IMG_0616

Das passt ihr so. So wie es ist. Das stille Werken am Vergangenen. Sie ist eher zurückgenommen und sieht sich ungefragt als Einzelgängerin. Das Innere des Werkraums ist zwangsläufig – buchdeckelgemäß – ebenfalls in gedeckten Farben gehalten. Braun. Grau. Beige. Viel Papier dort, gestapelt, wartet darauf verarbeitet zu werden. Dazwischen alte Buchbindemaschinen, Pressen, Papierschneider. Von außen betrachtet wirkt das Innere wie eine Höhle, und erstaunt registriert man, von draußen ins Innere blickend, einen weißen Arm, der im Licht einer Schreibtischlampe seinem konzentrierten Tagwerk nachgeht.

Dabei kann sie nach eigener Aussage gut mit Leuten. Wenn sie muss. Und hat nichts dagegen, wenn sie nicht muss. Sie ist das Gegenteil von exaltiert. Im heutigen Zeitalter der Selbstentblößung wirkt sie unzeitgemäß zurückgenommen.

Fernseher? Hat sie nicht. Viele Hörbücher, ja, das mag sie. Musik auch, aber nicht zu viel. Sie geht nach Hause und hat trotzdem Kontakt mit anderen. Sie chattet dann. Wenn es ihr zu viel wird, schaltet sie den Rechner ab. So einfach ist das. Alles unter Kontrolle.

Das mit dem Chatten werden vielleicht nicht alle ihrer Kunden so einfach verstehen. Vor allem nicht diese, die ein zu restaurierendes Buch gern zum Anlass eines längeren gepflegten Gesprächs nehmen.

IMG_0611Man wird dem Klientel nicht Unrecht tun, wenn man es als eher konservativ bezeichnet. Daniela Lipps vermutet angesichts dessen, was ihr so täglich zum Binden vorbeigebracht wird, wertvolle private Bibliotheken hinter gediegenen Mauern. Dass diese Kundschaft in ihr eine Verbündete im Bildungsbürgerlichen sieht ist ihr klar. Das nimmt sie, die Tochter eines linken Lehrerehepaares, in Kauf und versucht, soweit ihr möglich, sich etwaige Bildungsdefizite nicht anmerken zu lassen.

Die Kundschaft scheint sich an ihrem Äußeren jedenfalls nicht zu stören. Die Rastafari-Locken, die von ihrem Kopf wie teils geknickte Antennen abstehen, sind ja erscheinungsmäßig auch nicht mehr das Aktuellste. So weißt die Rastafari-Bewegung, in den dreißiger Jahren entstanden, durchaus alttestamentarische Züge auf. Vielleicht ist es das, weshalb die Frisur von Daniela Lipps ihren bildungsbürgerlichen Kunden so seltsam vertraut vorkommt? Und hätten sie den Blick gesenkt, wäre ihnen womöglich auch noch aufgefallen, dass sie ihre Zehennägel, die aus ihren Gesundheitsschuhen lugen, in je verschiedenen Farben lackiert hat. Aber auch diese Farben sind gedeckt.

Man wird das Bild des Diogenes in der Tonne nicht überstrapazieren, wenn man konstatiert, dass sich da eine junge Frau in der Jetztzeit so eingerichtet hat, dass sie von ihrem Geschäft “grad so lebt“. Sie hat keine großen Ansprüche, kommt „eben so rum“. Aber auch dabei ist sie auf unaufdringliche Art reduziert. Sie würde damit nie hausieren gehen. Dass sie ein Selbstvermarktungsproblem hat, weiß sie. Gern würde sie mehr aus sich rausgehen. Noch geht das nicht, aber sie arbeitet daran. Am liebsten wäre ihr, da wäre jemand, der ihr den Kontakt mit dem Publikum abnimmt. Glücklich sähe sich dann in einem kleinen Arbeitskäfig, davor ein Schild: „Buchbinder. Bitte nicht füttern“.

  • Archive

  • Besucher

    Total Visitors
    1386426
    1246
    Visitors Today
    225
    Live visitors