Allgemein Stadtstreicher

Das perforierte Glück

Irgendwie geht das alte Jahr immer stressig zu Ende. Erst natürlich die Vorweihnachtszeit mit den Geschenken, an deren Nutzwert man ja selber zweifelt. Dann der Hl. Abend mit dem Gebot der Nächstenliebe. Hat man das alles glücklich überstanden, naht Silvester, ein Knaller sozusagen, bei dem man immer vergisst, allen Leuten alles Gute zu wünschen. Und hat man den Jahreswechsel dann endlich geschafft, kann man immer noch nicht sicher sein, die Liste gänzlich abgearbeitet zu haben.

Jetzt stellt das neue, kommende Jahr die Herausforderungen. Ein Taschenkalender muss besorgt werden. Denn man weiß: auch dieses Jahrwerden die bevorzugten Exemplare schnell, allzu schnell vergriffen sein. Da gilt es zu handeln und zwar fix. Wieder Stress.

Dabei ist es die kurze, aber alles entscheidende Spanne zwischen ‚leider noch nicht da’ und ‚leider nicht mehr da’, die konzentriertes, schnelles Kaufen erfordert. Mitten in unserer kapitalistisch durchorganisierten Welt mache ich plötzlich Reste der Planwirtschaft aus, so, als herrsche auf dem Kalendermarkt nicht Nachfrage und Angebot, sondern Übernachfrage und Zuteilung.

In solchen Zeiten ist man nicht gern allein. Jetzt ist die Stunde der Freunde. Sie wissen um meine Nöte, kennen Fabrikat und Format des Taschenkalenders. Zwei Tage auf einer Seite ist ein unbedingtes Muss, ebenso die Perforation am unteren Ende eines jedes Blattes. Und natürlich die Adressenliste!

Wer immer also in diesen Tagen auf der Suche nach Kinderkleidung oder Mehrfachsteckern durch die Kaufhäuser streift und dabei zufällig auf einen solchen Kalender stößt, ist gehalten, umgehend zum Kauf zu schreiten. Selbstverständlich haben meine Freunde unbegrenzte Deckungszusage, überflüssiger Goldschnitt eingeschlossen. Natürlich bin auch ich, sooft es geht, unmittelbar vor Ort.

Der Herr neben mir, wie ich zwischen Radiergummis und Geschenkpapier einem Kalender auf der Spur, hat sich ähnlich organisiert. Auch er klagt über Versorgungsengpässe, die unorthodoxe Maßnahmen notwendig machten und ohne gezielte Informationen kaum zu überwinden seien. Zum Beispiel bei ‚Wagner’, so erfahre ich beiläufig, sei heute morgen nochmal eine Lieferung eingetroffen (wie konnte Heinz das übersehen?), das meiste allerdings aus  Leder (ich bevorzuge Plastik).

Überaus dankbar nehme ich diese Information zur Kenntnis und lasse mich nun auch meinerseits nicht lumpen. Ob ihm denn schon aufgefallen sei, dass die von ihm gesuchten Exemplare der Firma K. mit denen des Hauses Y. nahezu identisch seien? Bei geringerem Preis enthielten diese zudem noch die Seite ‚Verhalten bei einem Notfall auf der Autobahn’ („Vertrauen Sie sich keinem wilden Abschleppdienst an“ – interessant gerade auch für Frauen), dafür vermisste ich allerdings auf der ersten Seite die Spalte mit dem Rhesusfaktor. „Bewegliche Feste“ – nun, das verstehe sich von selbst.
Gemeinsames Bedauern dann, dass die Tagesheiligen nicht mehr aufgeführt seien, dafür enthielten nunmehr alle die Anzahl der monatlichen Arbeitstage. So richtig melancholisch werden wir beide dann bei den ‚Autokennzeichen der DDR’, die es nun seit langem ja auch nicht mehr gebe. Schade eigentlich, aber daran könne man ja schließlich auch sehen, dass die Welt nicht stehenbleibe. Aber trotz allem sind wir uns einig: gut, dass es den ‚Wissenswerten Anhang’ gibt.

So, jetzt muss ich weiter. Die neue Lieferung bei ‚Wagner’ sichten.

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