Category Archives: Allgemein

Allgemein Stadtstreicher

Die Fremdenführung

Published by:

Bismarck 2-1

Wie die Bismarck-Statue einen Baden-Badener ziemlich auf Trab hält

Wer wie ich in der Fußgängerzone wohnt, kommt nicht umhin, sich bisweilen als Stadtführer zu betätigen. Hier gilt es, fremden Besuchern Rede und Antwort zu stehen. Vor allem das Standbild des in diesem Jahr seinen 200ten Geburtstag feiernden Otto von Bismarck erregt die Neugierde der Fremden, ein Monument, das, hoch aufgereckt, Zeugnis davon ablegt, dass dieser 1895 zum Ehrenbürger der Stadt Baden-Baden ernannt worden war. Worauf ihm die Stadt 1915 ein Denkmal errichtete, an dem ich mich derzeit halt abarbeite.
Vielleicht war Bismarck seinen Baden-Badenern nicht immer nah, den meisten Besuchern aber ist er fremd. Man sollte ihm das nicht anlasten, aber anders als Beckenbauer, ist der Eiserne Kanzler den ausländischen Gästen doch ungleich schwerer zu vermitteln. Am besten geht das vielleicht noch über einen Vergleich.
Vergleichsweise leicht z.B. tut man sich beim durchschnittlichen Amerikaner. Den entlässt man zwar ein bisschen ratlos aber auch irgendwie zufrieden, wenn man den Eisernen Kanzler einen ‚Iron Man’ nennt.
Der Italiener hingegen ist ziemlich verstört, rücke ich ihn, um einen wirklichen Vergleich verlegen, das Standbild in die Nähe des Duce, was zwangsläufig zu kurz greift.

Auch der Brite ist nicht leicht zufrieden zu stellen. Hier könnte man eine vage Assoziation von Bismarck hin zu Art Richard III. herstellen. 1485 in der Schlacht vonBismarck  Bosworth gefallen, waren seine Gebeine erst kürzlich wiedergefunden worden. Geht aber auch nicht, denn der Eiserne Kanzler war, anders als der damalige König von England, keineswegs buckelig und zudem von niederem Adel. Kurz: der Vergleich hinkt. Außerdem hatte man Bismarck nicht unter dem Parkplatz eines Supermarktes beigesetzt.

Schwer tut man sich aber auch mit den Gästen aus der vormals sowjetischen Hemisphäre, die zunächst ihre in Stein gemeißelten Führer geliebt hatten, sie dann vom Sockel stürzten, das jetzt aber schon wieder bedauern. Immerhin betrachten sie den Dargestellten fast liebevoll. Hier mag viel Erinnerung ans Monumentale mitschwingen.

Klar, die von dem Ettlinger Bildhauer Oskar Alexander Kiefer geschaffene Steinbüste ist mit ihren 13 Metern ziemlich mächtig geraten. Eine stattliche Höhe, die der herausragenden Stellung Bismarcks voll gerecht wird. Daraus kann der Besucher deutlich erkennen: nur wer wirklich bedeutend ist, kommt in Baden-Baden ganz groß raus.

Allgemein Essen & Trinken

„Die Schusswunde schützt man vor Fliegen durch Zubinden…“

Published by:

Kochen wie in den Kolonien. Eine Anregung für’s kommende Fest

Foto Uwe Schiereck

Bevor Sie, lieber Leser, liebe Leserin sich auch an diesem Weihnachtsfest wieder vorschnell für das übliche, Schäufele und Kartoffelsalat, entscheiden, lassen Sie mich bitte ganz kurz auf mein Erbe zu sprechen kommen. Aus dieser Erbmasse ist mir ein Buch geblieben, das Ihnen gerade in Zeiten allgegenwärtiger Globali-sierung vielleicht ein Stück weit Augen und Gaumen auch für neue, fremde Formen des Genusses öffnen wird. Und wer weiß: vielleicht geben Ihnen die hier vorstellten Speisen auch kleine Anregungen fürs nahe Fest. Ein Tip, sozusagen.

Wenn uns das anspricht – was würde uns dann erwarten? Der Titel des Werkes, auf das ich mich hier beziehe, heißt: „Praktisches Kochbuch“. Verfasst hat es Henriette Davidis. Erschienen ist das Werk 1844, und wurde nach mehreren überarbeiteten Auflagen 1911 von Rudolf Zäch durchgesehen und überarbeitet. Ein außergewöhnliches Werk, 1110 Seiten stark, das seinen Reiz vor allem daraus bezieht, dass es uns, neben vielen anderen nützlichen Hinweisen, und mit dem Einfügen  des neuen Kapitels „Die Tropische Küche“ einstimmt auf die Herausforderungen der neuen Zeit.  

Geplantes Wappen

Damals hatte auch Deutschland ‚zu guter Letzt‘ einen Platz an der Sonne erobert. Auch Deutschland hatte seine Kolonie. Diese sollte  fortan ‚Deutschsüdwestafrika‘ heißen. Viele zog es  nun weg aus „unserem übervölkerten Deutschland“ ins ferne Afrika, und so galt es, die Küche des ‚Gastlandes‘ den neuen Siedlern nahe zu bringen. Was sich dann auch als überaus sinnvoll erwies, denn es war nicht zu übersehen: „Meist magern die Weißen in den Tropen rasch ab“. Muss irgendwie am Klima liegen.  Was kann man dagegen tun?  „Namentlich in der Zeit der Rekonvaleszens, nach Klimafieber und Ruhr, ist eine kräftigende und angepasste Kost von großer Wichtigkeit“. Eine solche ins Zentrum der Betrachtungen zu stellen, machen sich die Verfasser zur noblen Aufgabe. Denn es gilt, gastronomisches Neuland zu betreten. Afrika auf den Tisch, so lautet die viele Seiten lange Herausforderung.

Und siehe da: wie reich die Savanne doch ist! Und was kann man da nicht alles essen! Z.B. den Höcker eines Zebus. Wichtig ist die Zubereitung.  Selbstverständlich sollte man ihn vor dem Kochen erst einmal enthäuten. Haben wir das hinter uns, verfahren wir mit dem Stück ganz normal, so, wie wir es auch vom Fleisch der in Deutschland lebenden Tiere gewohnt sind. Wir geben Salz, Pfefferkörner, Suppenkräuter dazu. Serviert wird der Zebu-Höcker dann mit einer Remouladen- oder Cumberlandsauce.

Der afrikanische Elefant ist rechts abgebildet. Man beachte den Fuss.

Jetzt zum Elefantenfuß! Er wird ähnlich zubereitet wie der Zebuhöcker, lässt uns aber darüber hinaus noch die Wahl, in welchem Zustand wir die Speise genießen: „Die gutgesäuberten und gewaschenen („Elefanten-“ d.V.) Füße … können nun warm oder auch kalt in ihrer gallertartigen Brühe serviert werden.“ Über die Größe des benötigten Topfes macht das Buch leider keine Angaben. 

Wer’s ein bisschen kleiner mag, versucht es mal mit einem Antilopenkopf, oder, falls beim Metzger zu haben, einem Affenrücken. Laut Kochbuch wird er, ähnlich wie Hasenbraten, mit Specktreifen gespickt und dann „in heißer Butter unter fleißigem Begießen in sehr heißem Ofen rasch gargebraten“. Weiter empfiehlt sich das Hinzugeben einer „Fleischbrühe aus Maggis Bouillionwürfeln“, eine Empfehlung, die man unbedingt ernst nehmen sollte, denn Maggi hatte das Kochbuch gesponsort, und so wird es in Deutschsüdwestafrika gerochen haben wie in Singen am Hohentwiel, der Heimat des Brühwürfels.

Weiter finden wir im Buch Rezepte für den Tapirbraten und auch für eine Antilope. Wie man Flusspferdefleisch zubereitet, lassen wir hier jetzt mal beiseite. Im Wesentlichen verfährt man mit ihm wie mit dem Antilopenkopf. Eigentlich ganz einfach, aber bitte Maggi nicht vergessen.

Nun kann es ja sein, dass Sie in einer besonders hippen Gegend wohnen, wo der Metzger einen diagonal über der Brust geführte Schürze trägt, ein Nerd ist und sich Butcher nennt. Er wird neben Dry Aged Steaks, saisonbedingt vielleicht auch mal Störche im Festtagsangebot führen („auf Vorbestellung“). Hier muss man aber – so empfiehlt das Kochbuch – unbedingt fragen, ob es auch wirklich junge Tiere sind. Ansonsten unbedingt darauf achten: „Alte Störche legt man 36-48 Stunden in eine Essigmarinade“. Anschließend wie gehabt: Fleischbrühe, etwas Thymian und, nach Belieben, sauern Rahm dazugeben. Kein Maggi.

Jetzt aber noch eines. Sollten Sie am Hl. Abend Gäste einladen, muss man sich vorsehen. Nicht jeder ist so weltoffen, wie er tut. Waren die Freunde schon mal in Afrika, sind also bereit, sich unterm Baum auf Neues einzulassen, kann man es spannend machen. Man hält dann mit der Wahrheit noch etwas hinterm Berg. Köstlich wäre es z.B., das Festmahl mit dem ungezwungen, fröhlichen Ruf: „Überraschung!“ einzuleiten, um dann erst nach dem Mahl mit der ganzen Wahrheit herauszurücken.

Scheint es aber, bedingt durch etwaige Empfindlichkeiten der Gäste, angebracht, diese über die Herkunft des Wild-Bratens im Unklaren zu lassen, dürfen Sie darauf zählen, dass ein noch nicht vollständig ausgewachsener Storch (erst mal „haut man Hals, Flügel und Füße weg“ – so das Kochbuch) selbst bei näherer Betrachtung locker als Stubenküken durchgeht.

Hat er allen geschmeckt, wäre das Problem, wie man so sagt, ohnehin vom Tisch.

 

PS Und ach, noch etwas. Sollten Sie es an den Feiertagen für angebracht halten, eine Aushilfe auf Teilzeitbasis zu beschäftigen,  dann Obacht: „Die Behandlung des eingeborenen Dienstpersonals will auch erlernt sein. Es gibt unter ihnen viel arbeitsscheues Volk…“

Allgemein Kultur Menschen

Der Mann am Horn Teil 1

Published by:

Manchmal braucht es gar nicht viel, um einen Menschen glücklich zu machen. Für Peter Drischel z.B. wäre schon viel gewonnen, wenn ein kleines und doch so wichtiges Teil aus Bambusholz wäre, über eine mittlere offene Bahn verfügt und sich in das Mundstück seines Saxophons einspannen ließe. Dort könnte das Ding, gut badisch auch ‚Blättle‘ genannt, nach penibler Vorausauswahl einen ziemlich wichtigen zu seinem Glück leisten. Es könnte z.B. das wertvolle Selmer Saxophon so zum Klingen zu bringen, wie Peter Drischel sich das vorstellt. Was will er mehr?

Denn Peter Drischel, besser bekannt unter seinem Küstlernamen, Pete Tex, ist Musiker. Einer, der es mit der Musik ganz genau nimmt. Klar, dass er nichtsdem Zufall überlässt. Hat er nie getan, seit er, in Rastatt 1942 geboren und schon ab 1950 in musikalischer Ausbildung, beschloss, es mit der Musik ernst zu meinen. Nach dem Klavierunterricht ging’s gleich ans Saxophon. Ab seinem 13. Lebensjahr spielt er bereits in einer Bigband. Dann Mitglied in einer Dixie-Combo, der Tanzformation ‚Schwarz-Weiß’, dazwischen aber immer wieder auch Einsatz in der Rastatter Stadtkapelle.

Das war so um 1962. Der Krieg war nun schon eine ganze Weile vorbei. Die Bomberverbände waren heimgeflogen. Jetzt war der Himmel frei für die Angriffswellen der halben Hähnchen, mit denen, begleitet von riesigen Schwärmen Pommes, die Nachkriegsdeutschen ihren Fleischhunger stillten. In Amerika startete der Aufstieg von Elvis, der ganz allmählich in einen sanften, erfolgreichen Gleitflug überging: ‚Muss i denn zum Städele‘ hinaus versöhnte die Muttis mit den Jüngeren.

Aber auch in Mittelbaden vernahm man jetzt auf einmal ganz neue Klänge. Sie kamen von Liverpool und hatten über Hamburg ihren Weg bis in Badische gefunden. Auch nach Rastatt, Kuppenheim und Ettlingen. Überall entstanden Tanzbars und Tanzcafes. Im übrigen hatten die Dorfwirtschaften damals noch Säle. In denen brachten ab den frühen Sechzigern ein ganzer Schwarm neuformierter Combos und Schülerbands ihre von Schallplatten abgehörten Beatsongs unters vergnügungssüchtige Jungvolk. So war’s in Lichtental im „Goldenen Löwen“; nicht anders in Hörden und Kuppenheim. Dort gab’s jeweils den „Ochsen“, und nicht zu vergessen auch Malsch. Da hatte man den „Lauinger“.

Die damals erfolgreichste Gruppe in dem nordbadischen Unterhaltungsbiotop waren die „ROCKING STARS“, mit Dieter Kersten Gesang und – man wundert sich nicht – Peter Drischel am Saxophon. Fortan wurde abgeräumt. Erst rund um Rastatt, dann im gesamten südbadischen Raum. Noch heute geraten die zwischenzeitlich auch älter gewordenen weiblichen Fans mit aber immer noch erstaunlich schwarzem Haar und rauchiger Stimme ins Schwärmen, wenn sie an die die alten Zeiten denken, die damals doch so jung waren. Nicht anders ihre männlichen Pendants, die vereinzelt das mit einem dünnen Gummi zusammengebundene Resthaarschwänzchen heute immer noch so tragen, als gälte es, den vormals üppigen Haarwuchs am Kopf zu bändigen.

Allmählich dann aber war es für Peter Drischel Zeit, ins Profilager zu wechseln. „International Sextett“ hieß, wenig einfallsreich, die Formation, die Knut Kiesewetter, Gerd Böttcher und Lou van Burg begleiten sollte. Zehn Jahre später dann, wie schreiben 1974, beschloss die BASF eine eigene Plattenproduktion aufzubauen. Mit dabei, nach kurzer Zeit beim SWF, unser Mann am Horn. Mit im Gepäck sein Gespür für große Melodien.

Kaum im neuen Amt komponierte er als Pit Tex 1974 seinen Riesenhit ‚Slow Motion’…    

 

Zum Video des Titels ‚Slow Motion‘  gehts hier lang: https://youtu.be/9DXhmqFORrE

 

Demnächst Teil zwo des Beitrags. 

Allgemein Kultur Menschen

Der Mann am Horn Teil 2

Published by:

Das gab’s früher noch: SINGLES

Kaum im neuen Amt komponierte er als Pit Tex 1974 seinen Riesenhit ‚Slow Motion‘, über den nicht nur er, sondern auch unzählige Saxophonisten in der ganzen Welt froh waren. Mit dieser Melodie konnte er den Paarungswilligen auf der Tanzfläche einen klassischen Stehblues servieren. Zudem – das wird jeder Musiker bestätigen – lebt es sich mit einem Hit im Repertoire bedeutend angenehmer als eben ohne. Da wird das berufliche Leben einfacher.

Zugleich war dieser Hit auch eine Art Mitbringsel für die BASF, seinem neuen Arbeitgeber. Dass Peter Drischel mit seinem ‚Ohr’ für mögliche Hits der neugegründeten Abteilung dann auch noch die von einem Gitarristen namens Ricky King gespielte Nummer ‚Verde’ ans Herz gelegt hatte, soll hier nicht verschwiegen werden. Der nächste Hit. Immerhin belegte ‚Verde’ 1976 Platz 3 in der deutschen Hitparade. Mehr als nur ein Achtungserfolg. Und keiner wird sich jetzt ernstlich wundern, wenn Hans Lingenfelder, alias Ricky King, ebenfalls aus Rastatt stammt.

Räume, in denen, wie bei dem Musiker zuhause, Kreativität gedeiht, haben ihren eigenen Charme, ihre eigene Ordnung. Ein Durcheinander sollte man das nicht unbedingt nennen, was eigentlich ein Proberaum ist. Das Vorgefundene – Keyboard, Notenblätter, CDs, drei Stühle, ein Hocker, Saxophon- und Klarinettenständer, und dann noch das Laptop – gehorcht anderen Ordnungsprinzipien, auch wenn sich diese einem Außenstehenden nicht unmittelbar erschließen. Sagen wir’s mal so: das jesusmäßige Durcheinander in dem Raum weist entschlossen darauf hin, dass hier eher kreative  als ordnende Kräfte walten.

Das Wohnhaus von Peter Drischel liegt in einer Gegend, wo die Straßen Namen großer Komponisten tragen. Händelstraße, Brahmsweg, Brucknerstraße. Ein eher bürgerliches Viertel, in dem nicht weiter auffällt, wenn der Musiker in aller Öffentlichkeit einer Leidenschaft nachgeht. Obwohl nach wie vor verheiratet, ist er eine neue Beziehung eingegangen. Sie ist deutlich jünger und macht, was ja bei späten Lieben vorkommen soll, was sie will. Er jedenfalls hat alle Hände voll zu tun, mit dem Tempo der jungen Beziehung mitzuhalten. Dass sie nach den Kriterien einer Zucht nicht die schönste ist, nimmt er – die Liebe macht ja bekanntlich blind – in Kauf. Die Dame ist ja schließlich ein Hundemischling. Immerhin aber hat sie es zu einer Schallattenaufnahme gebracht.

MIMI – allein zuhause

Ein neuer, von Pete Tex gespielter Titel, trägt jetzt ihren Namen: ‚Mimi’. Auch wieder so ein Liebesbeweis, wobei nicht ganz klar ist, ob ‚Mimi’ das als einen solchen wirklich schätzt. Hundekuchen sind ihr lieber, weil nahrhafter. Jedenfalls kommt das Stück bei den zahlreichen öffentlichen Auftritten sehr gut an, ähnlich wie ‚Mimi’, der das Stück ja zugeeignet ist.

Auch dieses Stück entstand im Musikkeller, auch dieses Stück ist, wie so vieles Andere, das Ergebnis fortwährender Arbeit, der Ideensuche, des Übens mit dem Instrument. Getreu dem Spruch ‚Von nix kommt nix’ sollten es zwei Stunden am Tag schon sein. Darunter geht nichts. Weniger allenfalls nur dann, wenn sich die Zahl der Auftritte von derzeit 90 pro Jahr deutlich verringern sollte. Doch damit ist nicht zu rechnen. Hallen, Kirchen, Ensembles – alles will bespielt sein. Und dann kommt auch noch die Arbeit im Studio. Für Kollegen, für Auftraggeber.

Kurz: für alle, die die Musik genau so lieben wie Peter Drischel, alias Pete Tex.

SLOW MOTION https://youtu.be/9DXhmqFORrE

Allgemein

Weg damit!

Published by:

Vom Umgang mit nichtverderblichen Waren

Oscar Wild sagt: die Menschen neigen dazu, das wegzugeben, was sie selbst am nötigsten brauchen. Da ist bei mir nicht so. Ein gutes Beispiel sind jetzt z.B. die beiden Töpfchen aus Blech, die ich bei meinem Einzug in die Wohnung vor acht Jahren vorfand. Seit ich hier wohne, kann ich mit denen rein gar nichts anfangen.

Von dem einem Töpfchen weiß ich nicht, wozu es gut sein soll. Das andere wiederum, das mit einem Henkel, hatte irgend jemand, lange vor meiner Zeit, offensichtlich dazu benützt, um darin Kräuter für den häuslichen Bedarf zu züchten. Da ich jetzt aber nicht so der Wahnsinnskoch bin, hatte ich die Zuchtbemühungen nicht fortgesetzt, und so steht seit fünf Jahren das Blechding ganz hinten im Küchenschrank. Seitdem wartet es auf seine Auferstehung. Formschön aber nutzlos.

Meine Putzfrau stellt beim Reinigen des Schrankes die Blechdinger immer maulend auf den Boden, um sie nach Abschluss der Reinigung, mit unverständlich großem Lärm wieder ganz weit nach hinten zu schieben. „Da müssen wir uns jetzt mal aber mal was einfallen lassen“, sagt sie jedes Mal mit einer gewissen Strenge, was nicht mehr und nicht weniger heißt, dass ich – nicht ‚wir‘! – diese Dinger gefälligst wegschaffen soll. Am besten schnell und endgültig.

Mittlerweile sehe ich das auch so. Nicht, dass ich Angst vor meiner Putzfrau hätte, aber ich erlebe ja, wie sie sich immer wieder mit den zwei Blechdingern quält. Raus, rein, rein, raus. Dazu kommt noch, dass diese Teile zwischen uns und unausgesprochen, zu einer Art Zeugnis meiner Unfähigkeit, im Leben Entscheidungen zu treffen, geworden sind. So sagt sie das natürlich nicht, aber wahrscheinlich hält sie mich allein schon deshalb für eine Art Memme.

Ein leichtes Seufzen, dann denke, dass es also an der Zeit wäre. Die Frage ist doch die: brauche ich die Blechdinger wirklich? Nicht wirklich. Gut also, dass direkt vor meiner Wohnung ein vielbegangener Weg vorbei führt, der auf der anderen Seite von einer kleinen, nicht zu hohen Mauer gesäumt wird, die sich förmlich anbietet, auf ihr zwei völlig nutzlose Blechtöpfchen abzustellen. Von meinem Fenster aus könnte ich dann beglückt verfolgen, wie eine arme alte Oma mit knotigen Fingern danach greift und sich mit der Mitnahme meiner Töpfchen die schmale Rente aufbessert.

Ich warte also ab, bis niemand kommt, und flitze dann nach unten, um die Töpfchen zu positionieren. Nicht ganz einfach. Eines fällt mit lautem Scheppern gleich mal runter auf den gepflasterten Weg. Das kleine Ding also wieder hoch. Kein Email weggesprungen? Nein. Sieht aus wie immer: gut. Solide. Brauchbar. Nur halt die Frage: für was, für wen? Die Oma wird’s wissen, denke ich noch, dann geht’s wieder nach oben. Irgendwie leicht, da die Töpfchen aus schönem, soliden Blech ja unten geblieben waren. Hoffentlich kommen die Dinger in gute Hände, denke ich noch, mit schlechtem Gewissen.

Dann plagt es mich. Waren die netten Blechgefäße nicht Zeitzeugen gewesen? Hatten sie nicht den Krieg und all das andere Üble mitgemacht? Was hatten sie nicht alles gesehen? Menschen, die kamen und gingen. Freude und Leid, Tränen und Glück. Und so. Vielleicht hätte ich besser Blümchen rein setzen sollen? Freundlich am Fenster positioniert könnten sie in mein graues Leben ein bisschen einfärben. Die Nachbarn könnten endlich den Eindruck gewinnen, dass da mitnichten ein verbeamteter Misanthrop lebt.

Umdenken also. Nicht wie runter, jetzt schneller als vorher.

Aber die Töpfchen sind schon weg. Auf einmal ist mir ganz traurig ums Herz. Wehmut legte sich mir aufs Gemüt. Würde jetzt gern weiterschreiben. Wie es mir so geht. Allein ohne meine Töpfchen. Habe Tränen im Auge und Wut im Bauch. Vor allem aber habe ich wegen der Putzfrau einen ziemlichen Hals. Die hat mich doch in diesen töpfchenlosen Zustand reingeritten. Was glaubt sie denn, wer sie ist?

Eigentlich könnte ich mich hassen. Und sie. Dafür hab ich jetzt aber erst Mal keine Zeit. Muss weg. Zum OBI Markt. Töpfchen kaufen.

  • Archive

  • Besucher

    Total Visitors
    1467816
    409
    Visitors Today
    61
    Live visitors